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Hintergrund unseres Projektes
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland belief sich Ende 2019 auf rund 4,13 Millionen Menschen (Statistisches Bundesamt, 2020) und hat sich damit gegenüber 1999 mehr als verdoppelt. Diese Zunahme der Pflegebedürftigkeit spiegelt sich dabei vor allem in einer kontinuierlich steigenden gesamtgesellschaftlichen Pflegequote wider: Lag sie 2001 noch bei 2,5%, beläuft sie sich derzeit auf 5%. Ende 2019 wurden deutschlandweit rund 3,3 Millionen Pflegebedürftige zu Hause versorgt. Im Zeitraum der Jahre 2017 bis 2019 stieg die Anzahl der zu Hause durch Angehörige Versorgten rund 19,9%. Bei etwa 60% übernahmen ausschließlich Familienangehörige oder Bezugspersonen die pflegerische Versorgung. Etwa 30% nahmen zusätzlich die Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch.
Die Pflege eines Angehörigen stellt alle Beteiligten vor umfangreiche und oft unterschätzte Herausforderungen und Anstrengungen. Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem der nur bedingt vorherzusagende Pflegeverlauf und der damit einhergehende permanente Pflegealltag. Die Verantwortung für die Pflege verlangt pflegenden Angehörigen nicht nur physischen Einsatz ab, sondern benötigt auch Entscheidungskompetenz bezüglich Inhalt, und Ausgestaltung der Pflege. Häufig fehlt das Wissen über Pflegetechniken, Entlastungsmöglichkeiten oder aber gesetzlicher Sozialleistungsansprüche. Dies kann zu zusätzlicher - oft vermeidbarer - Belastung bis hin zur Überforderung führen und gesundheitliche gleichwie schlimmstenfalls monetäre Folgen nach sich ziehen. Zudem bedeutet die Übernahme der Pflege eines Angehörigen einen tiefen Eingriff in das eigene familiäre Leben. So ist es beispielsweise unglaublich, aber die Initiative sorgender und pflegender Angehöriger (SPA) hat ermittelt, dass 2017 von 64% der Anspruchsberechtigten in Deutschland keine Entlastungsleistungen nach §45 SGB XI abgerufen wurden. Damit verfielen 2,1 Mrd. EUR zur Unterstützung im Alltag. Aber !
Eine noch deutlichere Sprache bezüglich der quantitativen und qualitativen Pflege- und Betreuungssituation spricht die jüngst im Mai 2022 veröffentlichte Studie des VDK. Mehr als ein Drittel der Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, fühlen sich extrem belastet und können die Pflegesituation nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht mehr bewältigen. Dies ist eines von vielen Ergebnissen der bislang größten Studie zur Situation in der häuslichen Pflege, die die Hochschule Osnabrück im Auftrag des Sozialverbands VdK durchgeführt hat. Demnach haben die Wissenschaftler der Hochschule Osnabrück errechnet, dass je nach Art der Pflegeleistungen zwischen 62 und 93% nicht abgerufen werden. Finanziell verfielen allein bei drei wichtigen Hilfsangeboten fast zwölf Milliarden Euro. Waren es 2017 noch 64%, riefen 2021 die monatlich 125 Euro für die Unterstützung im Haushalt 80% der Pflegebedürftigen nicht ab. Damit entgingen ihnen jährlich knapp vier Milliarden Euro. Nicht in Anspruch genommen werden dem Bericht zufolge auch Leistungen, wenn Pflegende ausfallen und vertreten werden könnten. In 70% der Fälle nutzen Pflegebedürftige und Pflegende diese Möglichkeit der Verhinderungspflege nicht. Hier wurden 2021 Ansprüche von 3,4 Milliarden Euro nicht wahrgenommen. Weitere 4,6 Milliarden verfielen, weil die Kurzzeitpflege, die Angehörigen bei Krankheit oder zur Erholung eine Auszeit ermöglichen soll, von 86% noch nie beantragt worden sei.
Die Studie, die auf der Befragung von 56.000 Menschen basiert, bringt erstmals Licht in das Dunkelfeld der häuslichen Pflege. Demnach sind 72% der Pflegenden weiblich. Die Hälfte der Befragten versorgt ein Elternteil. Jeder zweite der Pflegenden ist bereits im Rentenalter und körperlich selbst nicht mehr fit: 63% haben täglich körperliche Beschwerden und 59% geben an, wegen der Pflege die eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Diese Menschen brauchen dringend Unterstützung, und zwar eine, die auch wirklich zur Verfügung steht, zu ihren Bedürfnissen passt und sie unbürokratisch erreicht. Ein Großteil der Befragten wünscht sich mehr Betreuung. 72,3% wünschen sich mehr Angebote, sprich z.B. Zeit für Unterstützung im Alltag. 11 von 16 Pflegehaushalten berichten von Erfahrungen mit Personalmangel: Zu wenig und häufig wechselndes Personal mit zu geringer Stundenzahl zur Betreuung und im Haushalt. Daher ist die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen eingeschränkt. Oftmals können spezifische und individuelle Bedarfe nicht von Betreuungsdiensten abgedeckt werden. Bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wird außerdem oftmals von einem Mangel an Fachwissen berichtet. Hauptpflegepersonen beklagen, diese Kräfte zumeist anlernen und beaufsichtigen zu müssen. Auch werden ambulante Pflegekräfte bei der pflegerischen Versorgung in einigen Haushalten als wenig kompetent erlebt. Die hohe Fluktuation beim Personal erzwingt zudem die ständige Einarbeitung von Pflegekräften in die konkrete Pflege- und Lebenssituation durch die Hauptpflegeperson. Pflege als eine Dienstleistung wird in den Pflegehaushalten vermisst. Auch wenn sich viele mehr Betreuung wünschen. werden 62 bis 93% der Leistungen von ihnen nicht in Anspruch genommen.
Dieser Widerspruch hat verschiedene Gründe:
- Nicht genügend Kapazitäten professioneller Pflegeanbieter.
- Zuzahlungen. 56% der Befragten schreckt dies ab, einen Pflegedienst in Anspruch zu nehmen.
Dringend notwendig ist zudem eine unabhängige Beratung. Denn die Studie zeigt auch: Erhält ein pflegender Angehöriger keine Beratung, werden deutlich weniger Pflegeleistungen in Anspruch genommen. Wird beraten, steigt die Wahrscheinlichkeit eine Pflegeleistung zu nutzen um ein Vielfaches - etwa bei der Tagespflege von 17 auf 83%. Mehr als 80% der 4,1 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause von nahestehenden Menschen versorgt, entweder von diesen allein oder mit Hilfe von ambulanten Pflegediensten (3,3 Millionen). Die VdK-Studie zeigt, dass auch in Zukunft die meisten Deutschen die Pflege zu Hause der in einem Pflegeheim vorziehen. Nur zehn Prozent können sich vorstellen in einem Pflegeheim versorgt zu werden, bei den Pflegebedürftigen sind es sogar nur 2,3 Prozent. EUKOBA möchte pflegende Angehörige in ihrer Kompetenz und ihrem Wissen für eine gute Pflege und Betreuung stärken und durch gezielt geplante Maßnahmen für Unterstützung und Entlastung sorgen. Es gilt: Je früher Betroffene Beratungsangebote in Anspruch nehmen umso größer stellt sich unser Beitrag zur Prävention von Gesundheitsproblemen bei den pflegebedürftigen Klienten und ihren pflegenden Angehörigen dar. Beratung ist ein wichtiger Pfeiler der Unterstützung pflegender Angehöriger.